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Direkte Methode bei SyHD

Die direkte Methode bietet generell mehr und andere Möglichkeiten als die indirekte Methode, z. B. den Einsatz von Ton und bewegtem Bild, die Aufnahme freier Gespräche und den Einsatz von Spielen. Aber auch die indirekt verwendeten Aufgabentypen lassen sich direkt sinnvoll um- und einsetzen. Direkt ist wie bei der indirekten Erhebung jedoch einiges besonders zu beachten, z. B. das Setting. Da sich die Gewährspersonen aufgrund der Anwesenheit eines_r Explorators_in und in ihrer Rolle als Interviewte in einer für sie recht unnatürlichen Situation befinden, ist es wichtig, dass Befragungen an einem für die Gewährspersonen vertrauten Ort stattfinden. In der Regel werden direkte Erhebungen daher bei den Gewährspersonen daheim durchgeführt. Um die Situation etwas aufzulockern und das Eis zwischen Explorator_in und Gewährsperson zu brechen, bietet es sich an, mit Fragen einzusteigen, die Interesse an der Gewährsperson erkennen lassen und diese zum Erzählen animieren. Bei SyHD wurde daher zu Beginn der Befragung nach dem Sprachgebrauch der Gewährspersonen, Besonderheiten ihres Ortsdialekts usw. gefragt.

Von besonderer Wichtigkeit ist zudem die Klarstellung der Rollenverhältnisse: Während der_die Explorator_in in die Rolle des Lernenden schlüpft, nehmen die Gewährspersonen die Expertenrolle ein – dies gilt es (immer wieder) deutlich zu machen! Auch die Sprache, die in der Kommunikation zwischen Explorator_in und Gewährsperson verwendet wird, spielt eine zentrale Rolle. Bei SyHD haben die Explorator_innen intendiertes Standarddeutsch gesprochen, die Gewährspersonen hingegen Dialekt. Aufgrund der hohen Dialektkompetenz der Gewährspersonen war das kein Problem; sind sie dennoch ins Standarddeutsche geswitcht, waren kurze Hinweise von Seiten des_r Explorators_in ausreichend. Nicht zu unterschätzen ist auch der zeitliche Aufwand, der mit der Vorbereitung und Durchführung einer direkten Erhebung verbunden ist. Eine durchschnittliche direkte Befragung bei SyHD dauerte um die zwei Stunden, wobei sich dies mit einer Dauer von bis zu fünf Stunden auch deutlich in die Länge ziehen konnte. Im Vorhinein waren zudem ausführliche Pretests sowohl zur Erprobung der Erhebungsmethode als auch zur Schulung der Explorator_innen von Nöten. Wichtig ist bspw., dass man den Gewährspersonen ausreichend Zeit zum Antworten lässt, sie ausreden lässt und nicht zu viel bzw. aus Versehen die gewünschte Antwort vorgibt. Vor und während einer direkten Erhebung gilt es zudem, mögliche Störquellen zu identifizieren und auszuschalten. Als problematisch erweisen sich bspw. Aufnahmen im Freien oder Räumlichkeiten mit Störgeräuschen wie laute Uhren oder Straßenlärm. Auch die Anwesenheit weiterer Personen kann Probleme bereiten, wenn diese bspw. vor der eigentlichen Gewährsperson antworten, gleichzeitig mit der Gewährsperson sprechen oder diese unterbrechen, korrigieren und evtl. verunsichern. Bei der Auswahl geeigneter Gewährspersonen für die direkte Erhebung sollte zudem berücksichtigt werden, dass Hör- oder Sehschwächen die Erhebung beeinträchtigen können. 

Wie kann die direkte Erhebung dialektsyntaktischer Phänomene aussehen? 

Gestaltung: Die direkte Erhebung bei SyHD wurde besonders abwechslungsreich gestaltet, da sie mit einer Dauer von ca. zwei Stunden für die Gewährspersonen eine gewisse Beanspruchung bedeutete. Sie umfasste unterschiedliche Erhebungseinheiten und Aufgabentypen. Den Möglichkeiten der veränderten Erhebungssituation entsprechend wurden auch audio-visuelle Medien genutzt. Neben einem Aufnahmegerät waren daher auch ein Laptop sowie Lautsprecher Teil der Arbeitsausrüstung. Zudem wurde für jede Erhebungseinheit ein Leitfaden angefertigt und mitgeführt sowie den Gewährspersonen eine Einverständniserklärung zur Teilnahme (auch hier wieder mit Zusicherung der Anonymität, Nicht-Weitergabe der erhobenen Daten an Dritte etc.) bereitgestellt und zur Unterschrift vorgelegt. Als kleines Dankeschön wurden den Teilnehmern eine SyHD-Tasse und der transliterierte Wenkerbogen ihres Heimatortes überreicht. In einem Erhebungsprotokoll wurden zudem wesentliche Aspekte der Erhebung (z. B. Zeit und Ort) sowie Besonderheiten der Erhebungssituation (z. B. Anwesenheit einer weiteren Person) festgehalten. 

Die direkte Erhebung bestand aus insgesamt sieben Erhebungseinheiten, von denen einige jedoch verstärkt für andere Projekte, z. B. Dissertationen, genutzt wurden, darunter ein Salienztest, eine Befragung zum Gebrauch und zur Semantik von am-Progressiv und tun-Periphrase, eine Übersetzung der 40 Wenkersätze und ein standardsprachlicher Text („Nordwind und Sonne“) zum Vorlesen. Die Erhebung begann mit dem bereits erwähnten Interview, das vor allem dazu gedacht war, das Eis zu brechen. Im Mittelpunkt der eigentlichen Erhebung standen dann neben den bereits genannten Erhebungseinheiten ein Fragebogen und eine Präsentation (vgl. Fleischer/Lenz/Weiß 2015: 265–267). 

Fragebogen: Der Fragebogen mit seinen insgesamt 14 Aufgaben war stark an die indirekte Erhebung angelehnt. Er enthielt jedoch kombinierte Aufgaben, die Elemente sowohl der Übersetzungs- als auch der Bewertungsaufgaben in sich vereinten. Wie in der indirekten Erhebung wurde auch hier zunächst ein einleitender Kontext durch den_die Explorator_in vorgegeben. Anschließend wurde um eine möglichst wortgetreue Übersetzung eines in Standarddeutsch vorgegebenen Satzes in den Dialekt der Gewährspersonen gebeten. Danach wurden den Gewährspersonen weitere Antwortalternativen vorgegeben, die sie nach der Gebräuchlichkeit in ihrem Dialekt beurteilen sollten. Indem die Gewährspersonen aufgefordert waren, mit „ja“ oder „nein“ zu antworten (teils wurde auch Unsicherheit im Sinne eines „naja“ bekundet), konnte gegenüber der indirekten Erhebung hier zusätzlich negative Evidenz erhoben werden. Neben der spontanen Reaktion auf den standardsprachlichen Stimulus im Rahmen der Übersetzung konnte so das gesamte Repertoire einer Gewährsperson in Bezug auf ein bestimmtes syntaktisches Phänomen erfasst werden. Bei SyHD wurden im Rahmen des Fragebogens Daten zur mehrfachen Negation, zu den partitiven Partikeln sen und (e)r(e) sowie zu zwei- und dreigliedrigen Verbclustern und dem Ersatzinfinitiv gewonnen.

Übersetzungs- + Bewertungsaufgabe: Wie in der indirekten Erhebung sind die Aufgaben in einen einleitenden situationellen Kontext eingebettet. An die Vorgabe eines standardsprachlichen Satzes und die Bitte um eine möglichst wortgetreue Übersetzung schließt die Vorgabe weiterer Antwortmöglichkeiten sowie die Frage nach deren Gebräuchlichkeit an. Einige Aufgaben diesen Typs bieten zudem die Möglichkeit zur Erhebung zweier Phänomene (z. B. Verbcluster + Konjunktivauxiliar). 

Siehe z. B. Frage 3 aus dem direkten Fragebogen (DF_03) 
oder Frage 8 aus dem direkten Fragebogen (DF_08)

 

Präsentation: Die Präsentation umfasste 31 Aufgaben. Sie wurde auf einem Laptop vorgeführt und enthielt neben Bildern auch kurze Videos sowie eine längere, etwa dreiminütige Videosequenz. Der visuelle Input war je nach Phänomen mit unterschiedlichen Aufgaben und Fragestellungen verknüpft. Teils waren die gezeigten Bilder um Lückentexte und Textbausteine ergänzt. Es wurden wie im (mündlichen) Fragebogen zuvor Aufgabentypen aus der indirekten Erhebung verwendet, modifiziert und kombiniert, mit der Videobeschreibung aber auch ein neuer Aufgabentyp eingeführt. 

 

Einzelbildbeschreibung: Der Aufgabentyp Einzelbildbeschreibung wurde aus der indirekten Erhebung übernommen, teils jedoch mit Lückentexten und weiteren Nachfragen kombiniert. Reine Bildbeschreibungen wurden u. a. zur Erhebung der Flexion des Zahlwortes zwei eingesetzt. Hier wurden jeweils zwei Personen mit variierendem Geschlecht, z. B. zwei Frauen bzw. Männer, oder zwei Gegenstände abgebildet. Die auf den Bildinhalt zielende Frage lautete jeweils Was sehen Sie auf dem Bild? Teils waren hier Nachfragen durch die Explorator_innen notwendig, wenn bspw. in der Antwort der Gewährsperson statt von zwei Frauen von zwei Weibern o. Ä. die Rede war. In solchen Fällen wurde gefragt, ob die Gewährsperson auch ein anderes Wort als Weiber verwenden könnte. 

Siehe z.B. Frage 5 aus der direkten Präsentation (DP_05)

 

Einzelbildbeschreibung + Ergänzungsaufgabe (auch: Lückentext): Bei der Kombination aus Einzelbildbeschreibung und Ergänzungsaufgabe nehmen Abbildung und Textvorgabe insofern aufeinander Bezug, als die Vervollständigung eines bereits vorgegebenen, unvollständigen Satzes anhand der Abbildung ermöglicht wird. Die Arbeitsanweisung lautete daher stets: Bitte übertragen Sie den bereits vorgegebenen Satzteil in Ihren Dialekt und führen Sie ihn fort! Beschreiben Sie dabei bitte, was Sie auf dem Bild sehen! Im Anschluss an die spontane Antwort der Gewährsperson wurde nach weiteren Ausdrucksmöglichkeiten gefragt (Könnten Sie das auch noch anders formulieren?); in einem weiteren Schritt wurden konkrete Antwortmöglichkeiten vorgegeben, die es erneut hinsichtlich ihrer Gebräuchlichkeit zu bewerten galt (z. B. Könnten Sie auch sagen ...?) Dieser kombinierte Aufgabentyp wurde u. a. zur Erhebung von Komparativ und Äquativ sowie partitivem Genitiv genutzt.

Siehe z.B. Frage 3 aus der direkten Präsentation (DP_03)

 

Beschreibung von Videoclips: Die Videoclips dauerten nur wenige Sekunden. Sie wurden teils von anderen Projekten übernommen (einige Videos zum Rezipientenpassiv stammen von Alexandra N. Lenz, die Videos zu den Progressivkonstruktionen wurden von Monique Flecken zur Verfügung gestellt), teils mit Projektmitarbeiter_innen, studentischen Hilfskräften und Kolleg_innen gedreht. Bei SyHD wurden sie zur Erhebung von Passiv- und Progressivkonstruktionen eingesetzt. In den Progressiv-Videos wurden laufende Handlungen gezeigt, z. B. eine Frau, die eine Vase töpfert. In den Passiv-Videos hingegen wurde eine Person gezeigt, der etwas widerfährt, z. B. etwas weggenommen wird. Die Fragestellung entsprach der, die auch indirekt zur Erhebung der entsprechenden Phänomene verwendet wurde (d. h. Was macht die Frau in dem Video gerade?, Was passiert mit dem Mann in dem Video?). 

Siehe z.B. Frage 4 aus der direkten Präsentation (DP_04)

oder Frage 26 aus der direkten Präsentation (DP_26)

 

Beschreibung der Videosequenz: Ein etwa dreiminütiges Video, das ein kleines Mädchen bei unterschiedlichen Aktionen (z. B. Chips essen, Geschenk auspacken) zeigt, wurde eingesetzt, um im Rahmen eines freien Gesprächs Kongruenzformen zum neutralen, weibliche Personen bezeichnenden Lexem Mädchen zu elizitieren. Nach einer kurzen Einweisung der Gewährspersonen (hier: Ich zeige Ihnen nun ein Video von einem Mädchen, das etwas länger dauert und das aus mehreren aufeinanderfolgenden Abschnitten besteht. Beschreiben Sie bitte, während das Video läuft, was dort passiert!) wurde das Video abgespielt; der_die Explorator_in war nun außen vor, während nur noch die Gewährsperson sprach. Aufgrund der Länge des Videos sowie den verschiedenen, aufeinanderfolgenden Videosequenzen konnte neben der Kongruenz des Hybrid Nouns Mädchen eine Vielzahl weiterer dialektsyntaktischer Phänomene erhoben werden, z. B. am-Progressiv und tun-Periphrase.

Siehe z.B. Frage 14 aus der direkten Präsentation (DP_14)

(für weitere Sprachproduktionsexperimente, ebenso für Experimente zur Sprachrezeption,  s. u. a. Albert/Koster 2002: 61–66)

Checkliste zur direkten Erhebung:

  • Ist das nötige Equipment (Aufnahmegerät, ggf. zusätzliche Speicherkarte, Laptop, Lautsprecher) vorhanden und funktioniert es? 
  • Wurden Vorstudien durchgeführt, um die Befragung und das eigene Vorgehen als Explorator_in zu prüfen und einzuüben sowie nützliches Feedback von Testpersonen (und ggf. Beobachter_innen) einzuholen? 
  • Liegt eine geeignete Erhebungssituation vor? Gibt es Störquellen? 
  • Haben die Gewährspersonen die Einverständniserklärung zur Nutzung der erhobenen Daten gelesen und unterschrieben? 
  • Wurde das Explorationsprotokoll ausgefüllt?
  • Wurden die Daten gesichert?

Literatur

  • Albert, Ruth/Cor J. Koster (2002): Empirie in Linguistik und Sprachlehrforschung. Ein methodologisches Arbeitsbuch. Tübingen: Narr (Narr Studienbücher).
  • Eichhoff, Jürgen (1982): Erhebung von Sprachdaten durch schriftliche Befragung. In: Besch, Werner et al. (Hgg.): Dialektologie. Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Dialektforschung. Halbbd. 1. Berlin/New York: Walter de Gruyter (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft Band 1.1): 549–554. 
  • Fleischer, Jürg/Simon Kasper/Alexandra N. Lenz (2012): Die Erhebung syntaktischer Phänomene durch die indirekte Methode: Ergebnisse und Erfahrungen aus dem Forschungsprojekt „Syntax hessischer Dialekte“ (SyHD). In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 1: 2–42. 
  • Fleischer, Jürg/Alexandra N. Lenz/Helmut Weiß (2015): Das Forschungsprojekt „Syntax hessischer Dialekte (SyHD)“. In: Kehrein, Roland/Alfred Lameli/Stefan Rabanus (Hgg.): Areale Variation des Deutschen. Projekte und Perspektiven. Berlin/Boston: de Gruyter: 261–287.
  • Glaser, Elvira (2000): Erhebungsmethoden dialektaler Syntax. In: Stellmacher, Dieter (Hg.): Dialektologie zwischen Tradition und Neuansätzen. Beiträge der internationalen Dialektologentagung, Göttingen, 19.-21. Oktober 1998. Stuttgart: Steiner (Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte 109): 258–276. 
  • Seiler, Guido (2010): Investigating language in space: Questionnaire and interview. In: Auer, Peter/Schmidt Jürgen Erich (Hgg.): Language and Space. An International Handbook of Linguistic Variation. Vol. 1: Theories and Methods. Berlin/New York: Mouton De Gruyter (Handbooks of Linguistics and Communication Science 30.1): 512–527.